von Lea Gscheidel, Sarah Benz, Dr. Julian Heigel, Dr. Matthias Gockel, Corinna Nordhausen

Auch in Zeiten von Corona sterben in Krankenhäusern, Hospizen und Altenpflegeeinrichtungen Menschen, die nicht vom Corona-Virus infiziert sind. Das sind im statistischen Mittel in Berlin rund 100 Menschen am Tag.

Wegen der aktuellen Situation ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten zur persönlichen Abschiednahme in den nächsten Wochen stark eingeschränkt werden. Gründe dafür sind die verschärften Besucherregelungen in den o.g. Einrichtungen, Erkrankung/ Quarantäne der Zugehörigen und die zu erwartenden begrenzten Personal- und Raumkapazitäten in den Einrichtungen.

Es werden in den nächsten Monaten voraussichtlich keine Abschiednahmen bei Bestattern, Fuhrunternehmen, in Krematorien und auf Friedhöfen stattfinden. Die Trauerfeiern auf den Berliner Friedhöfen sind nur noch als stille Feiern im Freien mit derzeit max. 10 Personen möglich. Urnenbeisetzungen wurden bereits auf einigen Friedhöfen gänzlich ausgesetzt.

Umso wichtiger ist es, dass Krankenhäuser, Hospize und Pflegeeinrichtungen sich als letzten Abschiedsort begreifen und dieser Bedeutung bestmöglich gerecht werden!

Es ist bekannt, dass sich die Möglichkeit der Abschiednahme von Sterbenden oder Verstorbenen positiv auf den Trauerverlauf auswirkt (vgl. www.covid-spiritualcare.com, Stand 19.03.20). Trauernde sollen sich trotz der derzeitigen Einschränkungen im
gesamten Prozess möglichst gestaltend und selbstwirksam erfahren können.

Auch unter den genannten erschwerten Bedingungen empfehlen wir, Abschiednahmen von nicht infektiösen Verstorbenen im Krankenhaus oder in der Pflegeeinrichtung zu ermöglichen. Das kann im Sterbezimmer oder in einem Abschiedsraum der Station oder der Pathologie geschehen.

Zusätzlich empfehlen wir in Absprache mit den Zugehörigen, Fotos der Verstorbenen zu machen, um den Tod für die Zugehörigen begreifbar zu machen, (falls eine persönliche Abschiednahme nicht möglich ist).Es ist davon auszugehen, dass es bei dieser sehr engen, ethisch begründeten Zweckbindung der Bilder, rechtlich vertretbar ist, eine Einwilligung auch nachträglich zu erfragen. Die Bilder können in den Akten hinterlegt werden, falls die Zugehörigen sie zu einem späteren Zeitpunkt sehen wollen, andernfalls sind sie wieder zu vernichten. Auch falls es keine explizite Zustimmung des Verstorbenen
für eine Fotografie gab, ist dieses Vorgehen aus unserer Sicht datenschutzrechtlich vertretbar.

Die Fotos könnten vom Pflegepersonal, von den Seelsorger_innen oder einer freiwilligen Person gemacht werden.

Weitere Vorschläge:

  • Es kann den Verstorbenen etwas Persönliches, z.B. ein Brief, ein Foto, ein Kuscheltier,
    Schmuck mitgegeben werden (ggf. von Nachttischen in Absprache mit den Zugehörigen).
    Wenn dies durch die Pflegekräfte geschieht, sollte möglichst ein Foto davon gemacht
    werden.
  • Es können zwei gleiche Gegenstände (Holzherzen, Engel, Federn) am Totenbett geteilt
    werden: eins bekommen die Verstorbenen, das andere bekommen die Zugehörigen. So
    lässt sich Verbundenheit über den Tod hinaus symbolisieren.
  • Ist die verstorbene Person religiös, kann für die Familie ein Gebet oder Segen ihrer Wahl
    gesprochen werden. Das kann auch stellvertretend geschehen, wenn die Zugehörigen
    nicht da sein können.
  • In Absprache(!) mit den Zugehörigen könnte den Verstorbenen eine Haarsträhne
    abgeschnitten werden oder ein Fingerprint oder Handabdruck hergestellt werden. So
    bekommen die Zugehörigen etwas zum „Begreifen“, falls keine Abschiednahme mehr
    möglich ist. Daraus können auch später Schmuckstücke hergestellt werden.
  • Wenn es möglich ist, sollten die Verstobenen noch am Sterbeort ihre letzte Kleidung
    angezogen bekommen. Wenn ein Ankleiden nicht möglich ist, könnte das Pflegepersonal
    mit oder ohne die Zugehörigen, einige wenige Kleidungsstücke auf die Toten legen.
    Diese und andere Ideen im Voraus zu durchdenken und passend umzusetzen, führt auch
    dazu, dass Klinikpersonal sich in der Krise als handlungsfähig erlebt. Das kann
    psychische Belastungen verringern.
    Expertise für Abschiednahmen im Krankenhaus liegt auch bei den psychosozialen
    Elternberatungen der Neonatologien (z.B. im Virchowklinikum) oder bei der
    Klinikseelsorge. Eine Vernetzung ist frühzeitig anzuraten!
    Wenn es mehr Erkenntnisse darüber gibt, wie lange und in welchem Umfang
    coronainfizierte Verstorbene eine Gefährdung darstellen, würden wir dazu anregen, noch
    einmal nachzudenken, ob und wie auch bei diesen Menschen Abschiednahmen möglich
    sind.

Berlin, den 29.3.2020

Lea Gscheidel, Bestatterin bei charonstochter
Dr. Julian Heigel, Thanatos Bestattung
Sarah Benz, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin, Spirtual Care, Sarggeschichten
Dr. Matthias Gockel, Internist und Palliativmediziner
Corinna Nordhausen, Kinderkrankenschwester, Fachkraft Palliativ Care, Trauerbegleiterin
Kontakt: abschiedgestalten@email.de